Das Ziel des Projekts ist es, die brutalen Szenen als Counterparts zum Minnediskurs zu betonen. Die Gewaltszenarien werden in Zusammenhang mit den sozialen, historischen und wirtschaftlichen Veränderungen diskutiert. Wie bei den Szenen, die auf dem Minnegesang basieren, lässt sich auch bei den Kriegsszenen feststellen, dass eine prägende Episode oft exemplarisch den Inhalt der Erzählung vertritt und gleichzeitig dramatisch eine Problemstellung präsentiert. So hält der Handlungsablauf inne, um eine kämpferische Episode repräsentativ vor Augen zu führen und gleichzeitig eine Frage an den Adressaten zu stellen. Damit ist die Vergegenwärtigung auf den Elfenbeinobjekten offen für Interpretationen – die Bilder motivieren den Betrachter zu einer Lösungsfindung. Einerseits muss der Betrachter die Verbindung zu den Erzählungen herstellen, und andererseits das Dargestellte “verarbeiten”. Das Projekt untersucht, ob die Bilder einen inneren Dialog beim Betrachter auslösen. Wenn man von einem solchen Zwiegespräch ausgeht, bieten die Bilder somit eine anders akzentuierte Interpretation der literarischen Vorlage. Des Weiteren wird analysiert, ob die im Roman auftretende Tragik der Konfliktsituation mittels der stereotypischen Verdichtung auf den Objekten in aktuelle Verhältnisse transferiert wird.
Prof. Dr. Manuela Studer-Karlen