Die UNESCO-Welterbestätte Kloster Sankt Johann in Müstair verfügt über einen aussergewöhnlichen Bestand an Stuckobjekten vom späten 8. bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Ziel des beantragten Projekts ist es, unter kunsthistorischer Leitung, aber unter Einbeziehung der Restaurierungswissenschaften und der Materialtechnologie einen umfassenden Corpus der Stuck-artefakte des Klosters zu erstellen und die Objekte international vergleichend zu analysieren. Neben den berühmten Wandmalereien aus karolingischer und hochromanischer Zeit findet sich in Müstair eine Bandbreite hochkarätiger Stuckplastik aus karolingischer, früh- und hochromanischer, gotischer sowie frühbarocker Zeit, die in dieser Dichte einmalig ist. An erster Stelle müssen dabei die Karlsstatue, das romanische Taufrelief und das romanische Chorgewölbe der Ulrichskapelle genannt werden. Aber auch die spätgotische Emporenbrüstung aus gipsgebundenem Gussstein oder die erst durch archäologische Untersuchungen bekannt gewordenen karolingischen Stuckaturen der Heiligkreuzkapelle aus dem späten 8. Jahrhundert haben höchste kunsthistorische Bedeutung und verdienen es, endgültig in der Forschung verankert zu werden. Diese für das Mittelalter nur selten, lokal begrenzt vorkommende Stucktechnologie über einen Zeitraum von etwa 850 Jahren hinweg innerhalb eines klösterlichen Komplexes zu untersuchen, und in den Corpus-Band einfliessen zu lassen, ist eine weitere Aufgabe des Projekts. Im Jahr 2015 wurde von Katrin Roth-Rubi in Zusammenarbeit mit Hans Rudolf Sennhauser (Roth-Rubi, Sennhauser 2015) ein zweiteiliger Corpus zur frühen Marmorskulptur aus dem Kloster Sankt Johann vorgelegt. Diese vorbildlich durchgeführte Aufarbeitung eines geschlossenen Werkkomplexes zur frühmittelalterlichen Sakralausstattung dient als Modell für die Aufarbeitung der unterschiedlichen Stuckgruppen in Müstair. Die Untersuchung gliedert sich in zwei Teile: Im Textteil werden einzelne hervorragende Objekte und Objektgruppen detailliert analysiert und zusammenhängend interpretiert. Dazu gehören, neben den Schwerpunkten der Materialität und der Werktechnik, der bau- sowie funktionsgeschichtliche Kontext, alle kunsttechnologischen, stilistischen und kunsthistorischen Aspekte. Der zweite Teil besteht aus einem kritischen Katalog des Gesamtbestandes jeweils mit den wichtigsten, knapp gehaltenen Informationen. Insgesamt werden die Objekte damit in ein europäisches Vergleichssystem eingebunden und nicht mehr isoliert für sich betrachtet. Abschliessend wird eine einordnende Synthese des Gesamtbestandes der Müstairer Objekte im internationalen Massstab vorgenommen. Schliesslich soll auch zum Aspekt einer kunsttechnologischen Tradition des Gipsstucks in der Region Müstair-Vinschgau Stellung einbezogen werden. Da in dieses Projekt auch alle konservatorisch-restauratorischen Massnahmen sowie die relevanten archäologischen Interventionen seit der Zeit um 1900 integriert werden, ergibt sich im Weiteren auch eine grosse (boden-)denkmalpflegerische Relevanz für die jetzige und zukünftige Bestandspflege. Aus diesem Grund ist der Kantonsarchäologe von Graubünden Mitantragsteller, woraus sich eine wertvolle Verknüpfung von wissenschaftlicher Theorie und angewandter Praxis ergibt.